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Verwischte Grenzen zwischen Sein und Nichtsein | Rückblick „Faust Sonnengesang Triptychon“ 7. November 2025

Was wir sahen und erlebten, waren weder ein Autor und Filmemacher unter andern noch ein Film wie viele andere. Werner Fritsch gehört zu den bekanntesten und meistgeachtetsten deutschen Autoren der Gegenwart. Gleich seine erste Buchpublikation „Cherubim“ (Suhrkamp Frankfurt 1987) sorgte für einiges Aufsehen in der literarischen Welt. Seine Themen und seine Sprache sind einfach unverwechselbar.
Fritsch schrieb Romane, Erzählungen, Dramen, Hörspiele, übersetzte Gedichte – und er macht Filme, die sich durch ihre Experimentierfreude und Intensität auszeichnen und dabei ihres gleichen suchen (ohne es freilich zu finden…).

Faust – Magier und großer Suchender
Der Titel des „Filmgedichts“ (W. Fritsch) „Faust. Sonnengesang“ spielt an den großen Suchenden und Magier der Renaissancezeit an, der u. a. Goethe, Nikolaus Lenau und Wladimir Odojewski fasziniert und jeweils zu großen Werken inspiriert hat. Dr. Faust will, so wurde auch in der Neuversion des Fauststoffes deutlich, dem Urrätsel, der Antwort auf Frage nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, auf die Spur kommen. Fausts Methode ist neben der Magie die Einfühlung in die Natur und das Vertrauen auf die dichterische Hellsichtigkeit und Inspiration. Aber neben dem Drang zu wissen ist es die brennende Sehnsucht, zumindest einmal rundum glücklich zu sein. Zentral für Goethes Faust ist die folgende Aussage, die dieser an Mephisto richtet:
„Werd‘ ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!“
Nicht in alle Ewigkeit mit den himmlischen Heerscharen vollkommenes Glück in der Gegenwart Gottes zu erleben, wie es das Christentum versprochen hat und noch immer verspricht – das ist Faust irgendwie zu viel, zu nebulös und zu wenig vorstellbar –, sondern hier auf Erden, im Diesseits, (zumindest) einmal restlos glücklich sein, das genügt ihm und dafür war er sogar bereit, seine Seele dem Teufel zu verkaufen.
Dieser kam im Film nicht vor. Aber auch Fritschs Faust zieht los. In Goethes Original folgen auf den Osterspaziergang Auerbachs Keller, Wald und Höhe, Marthens Garten, Wald und Höhe, die Walpurgisnacht auf dem Brocken und Gretchens Zelle im Kerker. Den Faust im gesehenen Film, den der Autor und Regisseur selbst spielt, treibt es gleich um die ganze Weltkugel herum… (Fritsch hat jetzt bereits 15 Jahre lang an diesem Werk gearbeitet und gedreht.)

Faust – ein Greiforgan
Das Wort „Faust“ ist nicht nur ein symbolträchtiger Name, sondern auch ein Begriff aus der Alltagswelt, mit dem das Greiforgan bezeichnet wird – hier ist es eine solche, die sich öffnet: jeder Finger entspricht einem der fünf Kontinente. Zwei davon haben wir letzten Freitag zu sehen bekommen: Europa und Amerika.
Im Gegensatz zur herrschenden Kultur der Trennung und Spaltung, versucht das opulente Filmkunstwerk zum einen das in der Tiefe liegende Verbindende zwischen den Menschen und Kulturen zu zeigen; zum anderen, komplementär dazu, werden mit gleicher Intensität die Vielfalt und Fülle der vielen Kulturen betont – als Gegenentwurf zur faktisch sich vollziehenden Globalisierung: Statt fremde Kulturen in ein langweilig-monotones „global village“ mit dem zweifelhaften Charme urbaner US-amerikanischer Siedlungsgebiete aufzulösen, ruft das viel bestaunte Filmgedicht die jeweils Kontinent-spezifischen, ja ureigenen Bilder herauf, die im Kopf des Zuschauers ein vom Bisherigen stark abweichendes Bild der „Weltgegenden“ kreieren.

Sonne und Tod
Wohin der neue Faust auch immer reist, in welche Kultur er auch immer eintaucht, welchen Urphänomenen menschlichen Lebens er auch nachspürt, zwei davon bleiben konstant, „schweben“ über allem: die Sonne und der Tod. Wie vor ihm der Pharao Echnaton, aber auch der heilige Franz von Assisi die Sonne hymnisch besungen haben, so nun auch Fritsch in einem insgesamt 24 Stunden dauern werdenden (es ist die Dauer eines Sonnenlaufs) Filmgedicht (15 Stunden liegen bereits vor).
Das biblische Wort, es lasse der Herr seine Sonne gleichermaßen über Gerechte und Ungerechte scheinen, findet hier dahingehend seine Abwandlung: Die Sonne scheint über alle Menschen aller Kulturen, ausnahmslos jedem spendet sie Wärme und Licht. Aber da ist immer auch die andere Seite, das Dunkel und das dem Menschen dunkelste Dunkel, der Tod, der je eigene Tod. Man weiß von ihm, dass man ihm nicht entgehen kann…
Entsprechend beginnt die Filmreihe mit einem schweren Autounfall, die Faust an die Grenze des eigenen Todes führt. (Fritsch selbst, seine Familie war auch im Fahrzeug, hat dieses Entsetzliche einst selbst durchmachen müssen.) Damit wurde gewissermaßen ein Moll-Vorzeichen gesetzt. Bei dem zwischen Tod und Leben schwebenden Dichter und Sucher verwischen sich die Grenzen zwischen Sein und Nichtsein, Samsara und Nirvana, Himmel und Erde, Innen und Außen. Das eigene Leben zieht wie ein Film an ihm vorüber, der den Autor immer wieder selbst zeigt, gelegentlich auch Bae Suah, die geliebte Gefährtin. (Die in ihrer südkoreanischen Heimat und darüber hinaus gefeierte Romanautorin ist ebenfalls im Emmeramsaal anwesend gewesen.) Kurzum: ein ganz besonderer Abend und ein überaus packendes Filmgedicht, das sehr zu Recht mit anhaltendem Applaus bedacht worden ist!
PS: Bald schon, am 21. November, wird Werner Fritsch im Theater Regensburg der Preis der Deutschen Schallplattenkritik verliehen, umrahmt von einer Lesung seiner Texte durch bewährte Schauspieler des Hauses. Bitte vormerken!
Prof. Dr. Sigmund Bonk

Sigmund Bonk | Werner Fritsch 07.11.25Was wir sahen und erlebten, waren weder ein Autor und Filmemacher unter andern noch ein Film wie viele andere. Werner Fritsch gehört zu den bekanntesten und meistgeachtetsten deutschen Autoren der Gegenwart. Gleich seine erste Buchpublikation „Cherubim“ (Suhrkamp Frankfurt 1987) sorgte für einiges Aufsehen in der literarischen Welt. Seine Themen und seine Sprache sind einfach unverwechselbar. Fritsch schrieb Romane, Erzählungen, Dramen, Hörspiele, übersetzte Gedichte – und er macht Filme, die sich durch ihre Experimentierfreude und Intensität auszeichnen und dabei ihres gleichen suchen (ohne es freilich zu finden…). Faust - Magier und großer Suchender Der Titel des „Filmgedichts“ (W. Fritsch) „Faust. Sonnengesang“ spielt an den großen Suchenden und Magier der Renaissancezeit an, der u. a. Goethe, Nikolaus Lenau und Wladimir Odojewski fasziniert und jeweils zu großen Werken inspiriert hat. Dr. Faust will, so wurde auch in der Neuversion des Fauststoffes deutlich, dem Urrätsel, der Antwort auf Frage nach dem, „was die Welt im Innersten zusammenhält“, auf die Spur kommen. Fausts Methode ist neben der Magie die Einfühlung in die Natur und das Vertrauen auf die dichterische Hellsichtigkeit und Inspiration. Aber neben dem Drang zu wissen ist es die brennende Sehnsucht, zumindest einmal rundum glücklich zu sein. Zentral für Goethes Faust ist die folgende Aussage, die dieser an Mephisto richtet: „Werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch! du bist so schön! Dann magst du mich in Fesseln schlagen, dann will ich gern zugrunde gehn!“ Nicht in alle Ewigkeit mit den himmlischen Heerscharen vollkommenes Glück in der Gegenwart Gottes zu erleben, wie es das Christentum versprochen hat und noch immer verspricht – das ist Faust irgendwie zu viel, zu nebulös und zu wenig vorstellbar –, sondern hier auf Erden, im Diesseits, (zumindest) einmal restlos glücklich sein, das genügt ihm und dafür war er sogar bereit, seine Seele dem Teufel zu verkaufen. Dieser kam im Film nicht vor. Aber auch Fritschs Faust zieht los. In Goethes Original folgen auf den Osterspaziergang Auerbachs Keller, Wald und Höhe, Marthens Garten, Wald und Höhe, die Walpurgisnacht auf dem Brocken und Gretchens Zelle im Kerker. Den Faust im gesehenen Film, den der Autor und Regisseur selbst spielt, treibt es gleich um die ganze Weltkugel herum… (Fritsch hat jetzt bereits 15 Jahre lang an diesem Werk gearbeitet und gedreht.) Faust - ein Greiforgan Das Wort „Faust“ ist nicht nur ein symbolträchtiger Name, sondern auch ein Begriff aus der Alltagswelt, mit dem das Greiforgan bezeichnet wird – hier ist es eine solche, die sich öffnet: jeder Finger entspricht einem der fünf Kontinente. Zwei davon haben wir letzten Freitag zu sehen bekommen: Europa und Amerika. Im Gegensatz zur herrschenden Kultur der Trennung und Spaltung, versucht das opulente Filmkunstwerk zum einen das in der Tiefe liegende Verbindende zwischen den Menschen und Kulturen zu zeigen; zum anderen, komplementär dazu, werden mit gleicher Intensität die Vielfalt und Fülle der vielen Kulturen betont – als Gegenentwurf zur faktisch sich vollziehenden Globalisierung: Statt fremde Kulturen in ein langweilig-monotones „global village“ mit dem zweifelhaften Charme urbaner US-amerikanischer Siedlungsgebiete aufzulösen, ruft das viel bestaunte Filmgedicht die jeweils Kontinent-spezifischen, ja ureigenen Bilder herauf, die im Kopf des Zuschauers ein vom Bisherigen stark abweichendes Bild der „Weltgegenden“ kreieren. Sonne und Tod Wohin der neue Faust auch immer reist, in welche Kultur er auch immer eintaucht, welchen Urphänomenen menschlichen Lebens er auch nachspürt, zwei davon bleiben konstant, „schweben“ über allem: die Sonne und der Tod. Wie vor ihm der Pharao Echnaton, aber auch der heilige Franz von Assisi die Sonne hymnisch besungen haben, so nun auch Fritsch in einem insgesamt 24 Stunden dauern werdenden (es ist die Dauer eines Sonnenlaufs) Filmgedicht (15 Stunden liegen bereits vor). Das biblische Wort, es lasse der Herr seine Sonne gleichermaßen über Gerechte und Ungerechte scheinen, findet hier dahingehend seine Abwandlung: Die Sonne scheint über alle Menschen aller Kulturen, ausnahmslos jedem spendet sie Wärme und Licht. Aber da ist immer auch die andere Seite, das Dunkel und das dem Menschen dunkelste Dunkel, der Tod, der je eigene Tod. Man weiß von ihm, dass man ihm nicht entgehen kann… Entsprechend beginnt die Filmreihe mit einem schweren Autounfall, die Faust an die Grenze des eigenen Todes führt. (Fritsch selbst, seine Familie war auch im Fahrzeug, hat dieses Entsetzliche einst selbst durchmachen müssen.) Damit wurde gewissermaßen ein Moll-Vorzeichen gesetzt. Bei dem zwischen Tod und Leben schwebenden Dichter und Sucher verwischen sich die Grenzen zwischen Sein und Nichtsein, Samsara und Nirvana, Himmel und Erde, Innen und Außen. Das eigene Leben zieht wie ein Film an ihm vorüber, der den Autor immer wieder selbst zeigt, gelegentlich auch Bae Suah, die geliebte Gefährtin. (Die in ihrer südkoreanischen Heimat und darüber hinaus gefeierte Romanautorin ist ebenfalls im Emmeramsaal anwesend gewesen.) Kurzum: ein ganz besonderer Abend und ein überaus packendes Filmgedicht, das sehr zu Recht mit anhaltendem Applaus bedacht worden ist! PS: Bald schon, am 21. November, wird Werner Fritsch im Theater Regensburg der Preis der Deutschen Schallplattenkritik verliehen, umrahmt von einer Lesung seiner Texte durch bewährte Schauspieler des Hauses. Bitte vormerken! Prof. Dr. Sigmund Bonk©Elisabeth Rieger
Veranstaltung 07.11.25©Elisabeth Rieger
Werner Fritsch 07.11.25©Elisabeth Rieger
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