Ursachen und Folgen des Niedergangs des Glaubens an objektive Wahrheit

Wer heute Ansprüche dahingehend erhebt, seine Rede, Theorie, Weltanschauung, Religion sei wahr, muss sich auf massive Einsprüche und einigen Unmut gefasst machen. Wurde damit nicht bereits ein erster Schritt in Richtung „Dogmatismus“ und gegen die Meinungsfreiheit und -vielfalt getan?
Kann man sich andererseits aber Gesellschaften vorstellen, in denen nicht länger auf Wahrheit rekurriert wird? Zumindest Demokratien scheinen eine gewisse Homogenität von festen Überzeugungen vorauszusetzen – Überzeugungen, die doch unvermeidlich mit Wahrheitsansprüchen verbunden sind.
Solche Fragen leiten auf womöglich noch grundsätzlichere über: Wie ist es bei uns eigentlich zum Niedergang des Glaubens an die Erreichbarkeit von Wahrheiten gekommen? Und was droht dort, wo sich der Zweifel an der Wahrheit sogar noch auf die Wissenschaft erstreckt? Könnte es nicht vielleicht sogar Parallelen unserer „wahrheitsmüden“ Zeit mit der Epoche des hereinbrechenden Faschismus und Nationalsozialismus geben?

Vittorio Hösle ist ein deutscher Philosoph. Er lehrt seit 1999 an der University of Notre Dame in Indiana. Hösle ist Verfasser zahlreicher Bücher, unter anderem zum deutschen Idealismus, zur Philosophiegeschichte, zur Diskursethik und zur Praktischen Philosophie

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Bild: Bocca della veritá | Mund der Wahrheit, Rom - Wikimedia Saiko CC BY 3.0